Alles wird Gut
Wie konnte ein so erfolgreicher Mensch, (ich meine nicht mich, ich bin kein Angeber, obwohl ich doch ganz erfolgreich bin, haha) mit dem Alter so beeinflussbar und gutgläubig sein. Naja, mich soll es nicht stören, schließlich verdiene ich mir mein Geld damit, gutes Geld und auch nicht wenig. Ich mache das jetzt schon seit 15 Jahren. Meine Mutter hatte immer gesagt: „Lern was in deinem Leben, sonst wirst du der Letzte sein.“ Ich kann nur sagen: Die Letzten werden die Ersten sein. Ich habe nichts gelernt, habe die Schule so früh wie möglich abgebrochen und bin zu meinem Onkel gelaufen. Er war Trick- Betrüger. Mich hatte es schon immer fasziniert, wie man durch geschicktes Handeln so reich werden kann. Der Enkel- Trick bringt es. Als er starb, übernahm ich das „Geschäft“. Sehr lukrativ und keiner hatte ihn je geschnappt, so sollte es bei mir auch sein, bis zum heutigen Tag. Vor meinem geistigen Auge spielte ich die Szenen, die sich kürzlich ereignet haben, noch einmal durch.
Ich hatte diese alte Dame angerufen und ihr erzählt, ich sei ihr lange verschollener Enkel. Keines meiner Opfer tat mir leid. Sie waren alt, kurz davor zu sterben und sie hatten zu viel Geld, das sie eh nicht vor ihrem Tod ausgeben würden. Also drängte ich dazu, mir schnellst möglich 50.000 Euro zu geben, da „ihr geliebter Enkel“ in einer finanziellen Krise war. Normaler Weise funktioniert das alles, sie gehen das Geld abheben und es gibt eine Geldübergabe. Was mir oft unterstellt wird: Dass ich sie bedrohen würde, aber nein, sowas mache ich nicht. Danach sieht sie mich nie wieder. Das sie betrogen wurden, merken sie erst viel später, wenn ich schon alle Beweise vernichtet habe. Doch die Polizei war mir auf der Spur, eigentlich nichts Besonderes, aber kürzlich hatten sie einen neuen (eiskalten) Heini eingestellt. Naja, kurzgesagt, er hat mich in einem „spektakulären Netz“ gefangen, wie seine Kollegen sagten. Er hat mich behandelt wie einen Menschenhändler oder wie einen Mörder, dabei habe ich diese alten Leute nur beklaut. Ich wurde beschimpft und mies behandelt. Eigentlich ist mein Beruf wie jeder andere, ich verdiene Geld. Als ob dieser Anwalt, der jetzt neben mir sitzt, keine Leute abzockt. Wissen Sie eigentlich, wie viel so ein Anwalt eigentlich kostet? Das nenne ich eine Masche, schließlich ist man auf ihn angewiesen. Egal wie schlecht er ist (ich wurde wegen ihm zu drei Jahren Haft verurteilt), das Geld ist bei ihm. Ich werde aus dem Gerichtsaal abgeführt. Zurück in dieses widerliche Rattenloch, meine modrige Zelle. Im Fernsehen sagen sie immer, wie sich die Lage in den Gefängnissen verbessert. Mich kotzt es an. Ja, ich achte hier nicht mehr auf Umgangssprache, ich sage, wie es ist!
Gefängnisse sollen resozialisieren. Wieso? Ich habe in der Gesellschaft gelebt, lange genug, um zu wissen wie man mit ihr umgehen muss. Ich habe von ihr gelernt. Vielleicht ist es Zeit für den Staat sich einzugestehen, dass ihre Methoden alles nur noch schlimmer machen. Fragen sie sich mal, wieso es Drogenkonsum, Diebstahl, Morde und sonst noch was gibt. Wenn man es sich genauer überlegt, hat jeder schon mal etwas Illegales gemacht. Schule geschwänzt, unter 16 Jahren Alkohol konsumiert, zu früh geraucht, falsch geparkt, schwarzgefahren, beleidigt, etc… und selbst wenn sie noch nie eines dieser Dinge getan haben, was eigentlich unmöglich ist (in meinen Augen), dann sind Sie der Staat. Obwohl, der macht auch Fehler. Warum ich das jetzt erwähne. Ich habe „nur“ gelogen. Diese alten Herrschaften haben freiwillig den Hörer abgenommen, sind selbst zur Bank gegangen, haben mir selbst das Geld ausgehändigt und sind selbst schuld. Wenn ich es mir recht überlege, war meine Lüge nur eine Notlüge, ich brauche das Geld zum Leben. Und wer mir jetzt kommt mit: „Du hättest eine Ausbildung machen oder etwas lernen können oder sollen“, für den habe ich echt nichts übrig!
Was gibt diesen Deppen das Recht mich einfach einzubuchten?! Wen ich meine? Alle, die sich für gut halten, die Verbündeten des Vaters Staat. Alle nur scheinheilig. Wem bezahlt ihr denn Steuern?!
Ach ja. Ich sitze jetzt im Knast. Als ob ich das vergessen hätte, pff. Der Knast wird mich nicht verändern. Jemand muss ihnen doch zeigen, wie absurd ihre grausamen Maßnahmen sind und nichts nützen. Ich werde fliehen, doch Tage vergehen.
Soll ich mich jetzt hassen, weil ich im Knast sitze, oder was? Reicht es nicht, dass ich hier sitze, muss mich jetzt auch noch jeder Hinterbliebene belächeln und mir unter die Nase reiben, dass ich „mit Vater Staat“ nicht spielen kann. Meine Mutter war die Einzige, die geblieben war, obwohl ich ihr damals weggelaufen war und unehrliche Spielchen getrieben hatte.
„Wer bist du?“ der Wärter steht vor der Tür. Ich liege auf meiner Pritsche und sehe innerlich das letzte Bild meines Vaters. Vor meinen Kinderaugen steht er und lächelt mir schief zu. Ich soll schweigen. Vor unserer Haustür in einer noblen Wohnsiedlung steht er da mit seinem Hemd und Krawatte, als ob er zur Arbeit fahren würde, das normalste der Welt, dabei ist er Wärter. Es reiht sich Haus an Haus, jedes mit seinem eigenen kleinen Garten. Er steigt vorsichtig in seinen Mercedes, schließt behutsam die Tür und fährt leise davon. Damals habe ich es nicht verstanden. Jetzt schon. Er ist für immer davon. Sie hatten sich oft gestritten, meine Mutter und er. Seit Jahren nun hatte ich nicht mehr an beide im selben Traum gedacht. Er hatte mir alles beigebracht, was ein Vater seinem Sohn zeigen konnte. Er war anständig, er war Wärter. Keine Antwort. Schweigen. „Ich wollte dich fragen, ob du…“. Ich schaue auf. Er sieht nett aus. Er lächelt mir freundlich zu. „…ob du vielleicht draußen eine Runde drehen möchtest. Ihr habt Freigang und es ist schönes Wetter“ sagt er. Ich schüttle den Kopf und verbleibe einsam in meiner Zelle.
Er kam jeden Tag wieder und fragte mich jedes Mal ruhig und irgendwie liebevoll dasselbe. Ich schüttelte jedes Mal langsam den Kopf und blieb liegen. Kann ich etwas Liebevolles überhaupt noch erkennen? In meiner Welt durfte nichts Liebevolles, Zärtliches bestehen. Denn es hieß verletzlich zu sein. Emotionen machen einen vorhersehbar, schwach und verletzlich. Oder? Warum funktioniert der Enkel- Trick so gut. Ganz einfach. Diese Menschen lieben ihren Enkel und wollen ihm helfen. Mitgefühl. So hatte ich sie um ihr Geld gebracht. Ist meine Aussage damit bestätigt? Was ist dann mit meiner Mutter? Sie müsste mich dafür hassen, dass ich jetzt hier sitze. Aber sie tut es nicht. Sie liebt mich doch, oder? Wie konnte das sein?
„Hey, pss, ich habe dir etwas mitgebracht “ Ich schaue auf. Meine Zellentür steht offen aber ich bleibe liegen. Er kommt rein. Er hält etwas hinter seinem Rücken. „Ich habe dir Kekse mitgebracht. Habe ich gestern gebacken.“ Ich setze mich auf und schaue ihn verwundert an. Welchen Grund gab es, mir etwas mitzubringen? „Ich dachte, du könntest etwas Gesellschaft brauchen. Du bleibst hier jeden Tag einsam drinnen. Was ist? Willst du keine?“ Ich dachte, keiner bemerkte es. Ich hatte meinen Geburtstag seit gefühlten Jahrzehnten nicht mehr gefeiert. Mein Onkel hatte sie verabscheut. Mit meinem Vater hatte ich ihn das letzte Mal gefeiert, kurz bevor er ging. Wir waren eine glückliche Familie gewesen, warum sich das geändert hatte, weiß ich nicht. Immer wenn ich mit meinen Eltern zusammen war, war ich glücklich gewesen. „doch…“ antwortete ich kleinlaut. „Nimm dir doch welche“ Er streckte mir die Dose hin und setzte sich neben mich. „Woher wei…, wiss…?“, er schaute mich lachend an und dieser Blick sagte mehr, als er hätte sagen können.
Darauf freundeten wir uns immer mehr an. Er behandelte mich anders als die anderen Wärter, wir waren mehr auf demselben Niveau, die anderen hielten sich für etwas Besseres. Wir gingen raus, spielten Karten oder schraubten irgendwelche verrückten Dinge in der Häftlingswerkstatt zusammen. Irgendwann vergaß ich sogar, wo ich war. Meine Mutter kam mich manchmal besuchen und irgendwann fragte ich mich, ob das alles passieren musste, damit ich mich selbst finde und die Welt zu schätzen lerne, ohne sie auszubeuten. Monat für Monat verstrich. Ich engagierte mich an Projekten und fühlte mich neu. Ich verstand, was Liebe ist, obwohl ich die Erläuterung im Duden etwas kühl fand.
„Ich weiß, du bist jetzt ein Jahr hier, also dein Einjähriges, und wahrscheinlich willst du gar nicht mehr gehen, haha, aber komm mal mit, ich muss dir etwas zeigen.“ Wir verließen meine Zelle. Sie war nicht mehr so kahl wie am Anfang. An den Wänden hingen nun Bilder von uns zweien und von meiner Mutter und mir und Poster, die er mir mitgebracht hatte mit witzigen Sprüchen. Meine Zelle war bunt und irgendwie ganz hübsch. Sie war nicht mehr so bedrängend und bedrohlich wie zuvor. Wir kamen auf den großen Flur. Ein paar Häftlinge grüßten uns freundlich. Unsere Freundschaft hatte nicht nur mir gutgetan, sondern auch den anderen Häftlingen. Ich glaube, wir alle wissen sie jetzt besser zu schätzen. Wir kamen vor der Tür des Direktors an. „Hey, warum sind wir hier? Willst du verpetzen, dass ich dir gestern den Nachtisch weggegessen habe?“ Wir lachten, eigentlich lachten wir generell sehr viel. Bevor ich ins Gefängnis gekommen war, war ich immer ernst und grummelig gewesen, bestimmt konnte man mit mir nicht so sonderlich gut leben… vielleicht habe ich deswegen auch keine Freundin oder so… wir traten ein. Der Direktor begrüßte uns und wir nahmen Platz. „Ähm ich bin gleich fertig, nehmt euch doch schon mal etwas zu trinken.“ Er zeigte auf die Flasche neben ihm, Sekt. Wieso sollten wir uns Sekt einschenken? Das konnte nur etwas Gutes bedeuten, oder? „Also, ich habe erfreuliche Nachrichten für dich. Du wirst wegen guter Führung entlassen! Und um ehrlich zu sein, bist du der erste, dem ich es gönne und mit gutem Gewissen sagen kann, dass du auch so bleiben wirst. Also herzlichen Glückwunsch! Du hast uns alle irgendwie verzaubert.“ Ich fiel fast vom Stuhl, nicht nur weil das bedeutete, dass ich meinen besten und einzigen Freund nicht mehr täglich sehen würde, sondern auch weil mir alle ans Herz gewachsen waren. „Oh, danke, vielen Dank, ich bin sprachlos.“ Und damit feierten wir meine Entlassung.
Später kehrte ich alleine in meine Zelle zurück. Ich setzte mich auf mein Bett. Die letzten paar Monate hier hatte ich echt genossen, doch meine Zelle erschien mir wieder so leer. Wie konnte es sein, dass ich das alles verlieren würde, würde ich es überhaupt verlieren? Ich schlief ein.
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich hatte mir erst jetzt bewusst machen können, dass sich diese Freundschaft natürlich nicht verlieren würde. Umso mehr ist mir bewusst geworden, dass ich anderen helfen musste, die auch vom Weg abgekommen waren. Es klopfte an der Tür. „Hey, bist du schon fertig?“ „Ja, ich komme gleich. Sag mal, warum hast du mich damals angesprochen? Du hättest mich auch in meiner Zelle lassen können, du bist ja auch nur ein Wärter…“. Er setzte sich neben mich und erzählte mir von seinem Kind und seiner Frau, die er aus irgendeinem dämlichen Grund vor 16 Jahren verlassen hatte. Er erzählte, dass er sie beide immer liebte, er war nur zu jung gewesen, um dem Druck stand zu halten. Er hatte es nie gewagt zurückzukehren. Er meint, ich erinnere ihn an sein Kind, er hatte es sich immer wie mich vorgestellt, wenn es älter wurde. Natürlich hatte er ihm nicht meine Laufbahn gewünscht. „Keine Ahnung, irgendwie wollte mein Herz dir helfen“. Und in diesem Moment wurde alles stillschweigend klar. Wir saßen bestimmt noch eine Ewigkeit auf dem Bett und starrten ins Leere. Ich brach die Stille, doch was ich sagte, weiß ich nicht. Er antwortete nur: „Jeder muss seinem Leben seine eigene Überschrift geben.“ Meine ist all denen gewidmet, die das finden, was sie glücklich und zufrieden macht. Damit meine ich nichts Sachliches, sondern Familie, Herz, Liebe und sonst noch alles, für was wir uns glücklich schätzen sollten, wenn wir es haben. Denn selbst wenn ihr in meine Lage kommt und so unglücklich seid, das ist das einzige, was euch wirklich helfen kann, denn dann bringt euch Geld auch nichts mehr.
Autorin: Elisa Mavroeidakos